Die globalen Konsequenzen der Geldveränderung für einen weltweiten Wirtschaftskreislauf

Staaten müssen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln genauso haushalten, wie Privatpersonen dies auch tun müssen - darüber bestehen weder Diskussionsbedarf noch Zweifel. Und dass im einen oder anderen Fall die Hausaufgaben nicht gemacht wurden, ist ebenso offenkundig. Worüber indes sehr wohl Zweifel angemeldet werden wollen, sind die Mittel, die den Staaten zur Verfügung gestellt werden, nicht zuletzt, um sich - durchaus auch von selbst verschuldeten wirtschaftlichen Dilemmata - zu befreien. Dabei geht es nur zum einen Teil um die Frage der Schaffenskraft und Arbeitswilligkeit von Menschen, gemeinhin katalogisiert unter den althergebrachten Bewertungs- polen von fleißig und faul. Zu einem nicht unerheblichen anderen Teil geht es um die Fairness einer gerechten Bewertung, welche im Falle von Schuldner- ländern nicht nur auf das Ausmaß der Schulden, sondern mindestens ebenso dringlich auf die Rückzahlungsmodalitäten zu achten hätte. Genau damit aber hapert es bei internationalen Ratingagenturen ganz gewaltig. Ihnen sind offensichtlich nur finanzmathematische Mittel bekannt, mit denen sie ihre Bewertungskataloge erstellen. Diese Vorgehensweise ist etwa so, als müsste ein schwer kranker Patient, der mittelfristig nicht in der Lage ist zu arbeiten, seine Behandlungskosten selber zahlen. Hinter solchen Maßnahmen stehen nicht nur unmenschliche Denkstrukturen, sondern irrtümliche Vorstellungen von jenem Medium, mit dem Schulden normalerweise beglichen werden. Aber beginnen wir von vorne.

Wo es Rechte gibt, muss es auch Pflichten bzw. Verantwortung geben. Das Recht auf die Nutzung menschlicher Schaffenskraft und damit auf Arbeit muss seinen Ausgleich finden in der Verantwortung dieser Schaffenskraft und, volkswirtschaftlich betrachtet, der Arbeit gegenüber, die sich in der Pflicht niederschlägt, weitere Arbeit zu beschaffen. Wo Geld gehortet und damit dem Wirtschaftskreislauf, dem der schaffende Mensch als realer Gegenwert angehört, entzogen wird, greift die menschliche Schaffenskraft und damit der geldwerte Gegenwert ins Leere, d.h., sie wird nicht für ihre Arbeit belohnt. Der Kreislauf von Geben und Nehmen ist unterbrochen. Arbeit und Lohn laufen, volkswirtschaftlich betrachtet, aus dem Gleichgewicht.

Dies führt notwendigerweise entweder zu einem Überangebot an Arbeit oder, im Fall des künstlichen Geldmengenwachstums, zu einer Abwertung des Geldes und, da dieses den Gegenwert der Arbeit darstellt, zu einer Entwertung der Arbeitsleistung. Selbst in einer kontrolliert gesteuerten Soli­darwirtschaft müssten durch dieses Phänomen der Geld- oder Arbeitsentwertung Menschen u.U. aus dem Arbeitsprozess genommen werden. Während der Besitzende so mit der Arbeitskraft der Menschen spielt, indem er sogar noch diesen Besitz für sich arbeiten lässt (Stichwort monetäre Verzinsung), kommt der gesamtwirtschaftliche Prozess von Geben und Nehmen immer mehr ins Stocken und die Schere weitet sich zwischen Besitzenden und denen, die keine Möglichkeit mehr haben, daran teilzunehmen. Wozu der Kunstgriff einer Umfunktion des Geldes zu einem selbstständigen Produktionsfaktor mit Eigenleistungsfähigkeit führen muss, wird interessanterweise durch die Energontheorie bestätigt:

"In modernen Gesellschaften mit ihren hochdifferenzierten Angeboten wurde Streben nach der Universalressource Geld zu einem übermächti-gen quasi-biologischen Antrieb. Er bündelt alle ererbten Antriebe und alle auf deren Grundlage durch Prägungs-, Erfahrungs- und assoziatives Lernen erworbenen Antriebe. Da es für die Antriebsbefriedigung völlig egal ist, ob Geld durch sozial faire und umweltschonende Arbeit oder durch verbrecherischen Raub und Raubbau erworben wurde, wird Geld zu einem weitgehend werteblinden Selektionskriterium für menschliches Verhalten. Da außerdem Geldbesitz und Machtbesitz durch Mechanismen leistungsloser Erfolgsbeteiligung (Zins, Rendite) und angeborener-maßen unersättliches Rang-streben eigenständig wie wechselseitig einer Selbstverstärkung (kybernetisch: einem dreifachen System positiver Rückkopplung) unterliegen, wirkt Geld als Ordner im Sinne der syn­ergetischen Systemtheorie, der das Verhalten menschlicher Individuen massenhaft versklavt. Selektive Selbstverstärkung kennzeichnet solche Ordner." (Andreas Hantschk, Energontheorie: Konkurrenz um Energie als allgemeines Lebensprinzip?, WZFG-Aufsätze, S. 3)

Nachdem das Geld einmal von seinem ursprünglich notwendigen Eigenwert entkoppelt war, war es nurmehr ein kleiner Schritt, seinen Wert über rein marktwirtschaftliche Kriterien zu bestimmen. Die Möglichkeit, Geld zu horten, um es für andere Zwecke und zu anderen Zeiten wieder auf dem Markt anzubieten, aber auch seine Fähigkeit, über Zinsmechanismen eine leistungslose Wertschöpfung zu erfahren, führte dazu, dass Geld zum Spekulationsobjekt wurde, welches nun losgelöst von allen Bezugswerten und Werterhaltungsfunktionen ein Eigenleben zu führen begann und so zum Vater für geradezu aberwitzige Finanzierungsinstrumente mutierte. Zur Zeit des Tauschhandels wäre ein solches Phänomen noch nicht einmal denkbar gewesen. Erst die Funktionsänderung des Geldes erlaubte es, Geld zu horten und dafür, dass dieses Geld dem Kreislauf der Waren entzogen wurde – was das gesamte Wirtschaftssystem zugunsten des Hortenden beeinflusst – auch noch weiteres Geld bzw. den Wertzuwachs zum bereits bestehenden zu kassieren. Jeder Psychologiestudent im ersten Semester weiß, dass eine solche Konstellation trieborientierte Eigenschaften wie Gier und Neid freisetzen muss. 

Dass es anders auch ginge, das zeigen mittlerweile zahllose Wirtschaftsexperten deutlich auf (siehe Literaturverzeichnis sowie diverse Aufsätze im Web). Geld muss weder verzinst, geschweige denn als Wertstandard um seinen Eigenwert gebracht werden, und Wirtschaft muss auch nicht wachsen noch müssen über Wettbewerb neue Wachstumszwänge entstehen, um trotzdem sinnvolles Wohlbefinden im Sinne eines wahren Lebensglücks für alle und, was viel wichtiger ist, innere Freiheit von konsumistischen Instinktzwängen und systemischer Ungerechtigkeit zu garantieren. Es gibt diesbezüglich nicht nur wirtschaftswissenschaftliche Modelle, sondern eine ganze Reihe völlig realistischer Freilandversuche. Freilich, eine Änderung der Denk- und Lebensvorstellungen muss vorauslaufend dazu stattfinden, denn unter der Prämisse von unersättlicher Gier und immer neuen Ablenkungs-zwängen ist eine ökonomische Lebens-philosophie des Zufriedenseins nicht denkbar. Wie sollte jemand wirkliches Lebensglück wahrnehmen können, der jammert, weil er seine fünfte Privatlimousine ebenfalls versteuern muss, wo er doch für die anderen vier schon so viel Steuern zahle.

Genau darum geht es nämlich. Wie sehr nämlich gegen das Prinzip ökonomischer wie ökologischer Vernunft verstoßen wird, zeigen alle neutralen internationalen Studien, so auch die nachfolgende, die in ihrer Klarheit keine Zweifel mehr zulässt: Vielen hochrangigen internationalen Fachleuten und Fachgremien (Club of Rome, Europ. Akademie der Wissenschaften oder das globalisierungskritische Netzwerk Attac usw.) zufolge, sind Struktur und Funktionsweise unseres heutigen Geld- und Bankensystems für die Reichtums-Armutsschere verantwortlich. An dieser Stelle und für die Zwecke dieses Artikel lässt sich zusammen-fassend sagen, dass sich die fünf ungerechtesten Wirkungsweisen der kapitalistischen Finanzstruktur durch folgende Merkmale beschreiben lassen: 

"1. Instabilitäten im gegenwärtigen Finanzsystem

Investitionen in die Zukunft basieren immer auf Spekulationen, da unsichere zukünftige Entwicklungen in der Gegenwart abgeschätzt werden müssen. Die Finanzmärkte neigen jedoch sehr häufig dazu, aufgrund von vielerlei Instabilitäten falsche Investitionsentscheidungen hervorzu-bringen, etwa aufgrund von Intransparenz, mangelhafter Kontrolle und Kooperation oder Herdenverhalten.

2. Ungerichteter Wachstumsdruck

Das gegenwärtige Geld- und Finanzsystem verstärkt bei verschuldeten Wirtschaftsteilnehmern die Notwendigkeit, ökonomisches Wachstum um jeden Preis zu realisieren – unabhängig davon, ob sich damit die Lebens- oder Arbeitsqualität verbessert.

3. Kurzfristorientierung

Das gegenwärtige Geld- und Finanzsystem erschwert Investitionen in langfristige Projekte deutlich und bevorzugt eine kurzfristige Gewinnorientierung – mit allen arbeitsmarktorientierten Konsequen- zen.

4.Asymmetrische Wohlstandsverteilung

Das Sprichwort 'Die erste Million ist die schwierigste' ist ebenso bittere Realität wie die sich vertiefende Spaltung der Welt zwischen Nord- und Südhalbkugel, und zunehmend zwischen in und außerhalb des Arbeitsmarktes. Hierfür ist wesentlich der Aufbau unseres Geld- und Finanzsystems mitverantwortlich.

5. Entwertung von Sozialkapital

Verschiedene Faktoren beschreiben den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Dazu zählen die Formen der marktförmigen Gestaltung immer weiterer Gesellschaftsbereiche sowie Veränderungen von Arbeitsbedingungen aufgrund einer immer schärferen Profitmaximierungsstrategie der Unter-nehmen.

Bereits einer dieser fünf fundamentalen Mängel der gegenwärtigen Finanzarchitektur hat [unabhängig aller sonstigen Missstände] zur Folge, dass die gegenwärtige Entwicklung nicht auf Dauer durchzuhalten ist – sie ist nicht zukunftsfähig. Ganz explizit verweisen die Studien dabei auf das derzeitige Zinssystem als wesentliche Ursache dieser Missstände." (Margrit Kennedy: Geld ohne Zinsen und Inflation - Ein Tauschmittel, das jedem dient!, S. 44f.)

Wenn wir die wesentlichen Punkte verbinden, erstellt sich uns folgendes Bild: Die zinsbedingte Kraft des Geldes, sich selber ohne entsprechende Gegenleistung lawinenartig zu vermehren, führt dazu, dass sich die Rentabilität jeder Maßnahme, sei es im Bereich der Umwelt, des Arbeitsmarktes oder des Sozialwesens, zuerst einmal mit dem Zins, den man für Geld auf dem Kapitalmarkt bekommen kann, messen lassen muss. Dieser alternative Zusammenhang von Zins und Arbeitsertrag, von der Kraft des Geldes im Vergleich zur Kraft der Arbeit, führt dazu, dass sich die Schere zwischen reich und arm ebenso wie die Wachstumskurve und der damit verbundene Wettbewerbsdruck exponentiell erhöhen, was – wie bei jedem exponentiellen Wachstum – zum (wirtschaftlichen) Tod der Beteiligten führen muss, allein schon deshalb, weil diese Erde nirgendwo exponentielles Wachstum ermöglicht. Bis es allerdings so weit ist, kann eine kleine Minderheit auf Kosten der Mehrheit ein schönes Leben genießen. Der hier zugrunde liegende Egoismus ist die Wurzel allen Übels, sowohl das der finanziellen Entschuldungskriterien, mit denen Schuldnerländer immer noch tiefer in den Kreislauf von Armut und Arbeitslosigkeit gestoßen werden, als auch jenes eines scheinbar Erfolg versprechenden Wettbewerbs, mit dem Schulden zurückgezahlt werden sollen, denn Entschuldung durch zinsbedingte Höherverschuldung und Wohlstand auf Wachstumsbasis sind in der Tat so unsinnig wie Gesundheit durch Tabletten oder Schaffenskraft durch Amphetamine.

 

zurück